2. Große Fragen / Der fragende Rochen

Ich habe heute und in der letzten Zeit öfter Gespräche über die großen Fragen im Leben geführt. Ich merke, auch angesichts der politischen Lage, wie sehr es meine Mitmenschen umtreibt, ein gutes Leben führen zu wollen und vor allem die Frage danach, wie das für einen persönlich aussehen kann. Ich für meinen Teil habe gerade sehr das Gefühl, die ersten Früchte aus meiner penetranten Fragerei an mich selbst zu ernten. Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich wie ein sicherer Hafen, in den andere einkehren können, so wie ich bei denen einkehren durfte und darf, die sichere Häfen für mich waren und sind. Ich merke schon jetzt, dass ich mich etwas getraut habe. Ich habe mir Themen angeschaut, die manche vor ihrem Lebensende schon in ihr Grab legen. Die sie lieber wegstecken, denn würde man zu lange darüber nachdenken, würde das nur etwas ins Ungleichgewicht bringen. Wenn du Anstöße brauchst, dann sind sie hier. Eine ganze Menge. Wenn sich dein Körper bei ein zwei Fragen meldet, schreib sie gerne mal probeweise auf und versuche sie dir zu beantworten. Wenn es zu viel wird, was sein kann, dann pausiere ruhig oder such dir eine:n Gesprächspartner:in. Wenn du mich kontaktieren willst, finden wir gerne einen Termin.

Bist du glücklich mit dem Menschen, der du bist? Kannst du dir lange in die Augen sehen? Welche Begrenztheit nimmst du wahr, bei dir, bei anderen oder in der Welt, die du schlecht aushalten kannst? Welcher Lebensumstand ist für dich eigentlich nicht verhandelbar, doch wird ständig auf die Probe gestellt? Wem hast du noch nie gesagt, dass du ihn*sie liebst, obwohl du das ganz sicher tust? Wenn du morgen sterben würdest, wärst du zufrieden mit dem, was bis hierhin passiert ist? Was hast du der Welt zu geben?

WAS WILLST DU WIRKLICH? Also wirklich wirklich, hinter den Dingen? Warum das Geld, warum das Auto, warum der Töpferkurs, warum der Französischunterricht – was treibt dich an? Worauf willst du hinaus und hast du das Gefühl, es zu erreichen? Von welcher Sache weißt du ganz genau, dass du sie dir jetzt sofort trauen solltest, obwohl oder weil du schon lange große Angst davor hast? Auf welche Art und Weise möchtest du geliebt werden? Wer sind die wichtigsten Menschen in deinem Leben? Wie sieht das Leben aus, das du gern hättest, was daran ist einfach und könnte jetzt sofort ein Stück weit erfüllt werden? Worauf bist du stolz, weil DU es geleistet hast? Worauf bist du stolz, weil es jemand anders geleistet hat? Was macht dich besonders? Wie fühlt es sich an, das manchmal nicht zu wissen? Wann warst du das letzte Mal verloren und wie hat sich das angefühlt? Was blockiert dich? Was bereust du? Was möchtest du endlich loslassen?

Ich danke allen, die diese wunderschönen Gespräche mit mir teilen, sich mir anvertrauen und mir zuhören, das ist mir so viel wert, dass ich es gar nicht beschreiben kann. Denn ich weiß für mich, dass meine sozialen Bedürfnisse viel mit Tiefgründigkeit zu tun haben und davon handelt unter anderem folgendes Gedicht:

 

Der fragende Rochen

 

Manche Fragen liegen auf der Zunge

Hängen irgendwo an der Kehle

Drücken sich in den Brustraum

Schaffen ein Gewicht

Das schwer im Bauch liegt

Das ein Flattern bringt zwischen die Beine

Sie zittern lässt

Mit Amplituden, die dir sicher die Füße

Vom Boden reißen müssen

 

Der Kopf noch lange nicht hinterhergekrochen

Schiebt sich über Stufen

Wie über den Sand ein grauer Rochen

Schwer und schwerelos zugleich

Schweben über dem Bodenreich

Tief und tiefer

 

Atme ich durch

Hat es weiter weh getan

Mach dir keine Sorgen

Es ist noch nicht vorbeigegangen

Dein System verarbeitet die Summe

Deiner Teile

Der Kiesel, die du außen siehst

Der Kuss, der zu dir fliegt

Jeder Pilz und jede Kirchenspitz‘

Die sich durch deine Sinne

In dein System vergraben

Wird verarbeitet wie Wasser durch Kiemen

 

Wärst du lieber ein Stein auf dem Meeresgrund?

Der weiß, was er zu tun hat? Ohne Grund?

Wenig Bewegung, außer er wird zum Urlaubsfund?

Der sehr lange gleich bleibt?

Denkst du, er weiß besser Bescheid?

 

Der Rochen zieht sich röchelnd reißend durch die Meeresfluten

Makrowellen durchstößt er mit seinen Rüsselchen den kleinen

Augen zwischen dem Sand, der aufwirbelt zwischen deinen Zehen

Hättest du dich getraut, sie in das Wasser zu halten, mit dem Sand zu vernähen

Der Rochen hätte dir seine Geheimnisse verraten, hättest du dich getraut

Auch mal deine Füße in das kalte Wasser zu halten und länger

in dich hinein geschaut

 

Gruselig, nicht zu wissen, was sich am Boden befindet

Doch du kannst darüber schweben und es inspizieren

Dir ein Bild machen, Nahrung inhalieren

Und zum Schluss für dich evaluieren:

Was nehme ich mit?

Für mein Meeres-, oder Bodenglück?

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3. Das Hadern am Lesen

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1. Gefühl an die Welt